Donnerstag, 1. September 2011

Fishbowl Wonderland: Kapitel 2.2




Fortsetzung: Kapitel 2
Fishbowl Wonderland

Von was für eine Freundin Kitamura hier wohl sprach? Ich hatte absolut keine Ahnung das ich immer tiefer in eine Sache verwickelt wurde. Er sagte, er beneide mich für meine Ehrlichkeit und Treue. Bedeutete dies etwa das diese gewisse Freundin eine Geliebte von ihm war? Doch er hatte natürlich recht, Dortmund war keine Option. Vielleicht würde ich ja hier in Düsseldorf ein wenig auf andere Gedanken kommen.
>>Vielleicht hast du recht. Ich möchte mich aber niemandem aufdrängen. Ich hoffe also wirklich das du deine Freundin darüber in Kenntnis gesetzt hast.<<
In diesem Augenblick schien es mir unangebracht zu Fragen in welcher Beziehung er zu dieser Frau stand.
>>Was denkst du denn von mir? Natürlich stimmt die Geschichte die ich dir erzählt habe.<<
Kitamura kramte erneut in seiner Schreibtischschublade und brachte einen Schlüsselbund hervor an denen zwei Schlüssel hingen. Ein Billiken Anhänger schmückte den Bund. Immer noch etwas misstrauisch nahm ich den Schlüssel zum Apartment entgegen. Kitamura hatte wohl vorausgeplant.
>>Ich würde mich jetzt gleich auf den Weg machen. Tut mir leid das ich so abwesend bin. Ich kann all das hier noch nicht so richtig wahrnehmen. Auch dieser Umschlag in meiner Hand fühlt sich keineswegs real an. Wo befindet sich das Apartment?<<
>>Konsul Apartments an der Kö. Ungefähr ein fünfzehn minütiger Fußweg von hier. Das Gebäude grenzt direkt an der Einkaufsstraße. Auf dem Namensschild steht R. Asahi. Es befindet sich im fünften Stockwerk. Es ist Zimmernummer 27.<<

Die Ozean Apartments waren mir kein Begriff. Doch wenn es an der Königsallee lag, musste dies bedeuten das es sich hier um eine wahrlich teure Unterkunft handelte. Ich war jedoch viel zu erledigt um weiter mit Kitamura über die Lage des Apartments zu diskutieren.
>>Danke. Du weißt, dass du das nicht für mich tun musst, oder?<<
>>Weißt du, ich kann hier in Deutschland kaum jemanden als meinen Freund bezeichnen. Doch die Leute aus meinem Kurs sind mir sehr wichtig geworden. Wie eine Familie. Ich glaube ich würde sie bei meiner Abreise aus Deutschland mehr vermissen als meine Frau und meine Tochter die derzeit in Tokio leben. Alessia und du, Leon, ihr seid mir ziemlich wichtig. Und auch ich will es einfach nicht akzeptieren das Alessia nun auf diesem Friedhof verweilt. Es wird noch einiges auf dich zukommen. Und ich möchte es dir zumindest so komfortabel wie möglich machen. Ruh dich aus und schlafe eine Runde.<<
Kitamura stand auf und verabschiedete mich mit einer kräftigen Umarmung.
Danach war es Zeit für mich zu gehen. Doch gerade als ich die Klinke herunterdrücken wollte, sprach Kitamura noch etwas seltsam kryptisches zu mir.
>>Ist es ein abwegiger Gedanke die Welt als ein übergroßes Goldfischglas anzusehen? Und wir sind die Goldfische, die planlos durch dieses endlose Gefängnis schwimmen. Was meinst du, wie viele Leute denken das wohl gerade? Oder haben schon einmal darüber nachgedacht? Seltsame Vorstellung wie ich finde.<<
Auch darauf fand ich keine passende Antwort. Um nicht unhöflich zu erscheinen konnte ich mich doch noch zu einem Satz durchringen.
>>Die Welt mit einem Goldfischglas zu vergleichen klingt irgendwie furchtbar einsam. Ein einsamer Mensch stellt solche Vergleiche auf. Das hätte ich von dir gar nicht erwartet, Kitamura-San. Doch es stimmt. Eine einsame Welt.<<
Kitamura nickte zum Abschied und ich verließ sein Apartment. Die Musik aus dem Wohnzimmer war immer noch zu hören.
Mittlerweile war es später Nachmittag. Die Sonne spuckte nun Feuer und Flammen. Mein Jackett und den Umschlag fest umklammert marschierte ich zur Königsallee mit der Hoffnung das Apartment schnell zu finden. Als ich die Immermannstraße durchquerte und mich der Innenstadt näherte, kam mir eine Gruppe von südländischen Jugendlichen entgegen. Sie waren laut und unterhielten sich in ihrer Landessprache. Als sie mich streiften und an mir vorbei gingen hätte ich einfach drauf los kotzen können. Bestimmt jeder einzelne aus dieser fünf Mann Gruppe hatte sich wahrscheinlich ein komplettes Flacon Pure Man über seine Haare gegossen. Mir war es schleierhaft wie Frauen so etwas anziehend finden konnten. Der Freitagabend näherte sich. Diese Jungs schienen zumindest perfekt darauf vorbereitet gewesen zu sein.
Ich hatte noch nichts gegessen was neben dem penetranten Duft des Pure Man zusätzlich für Magenschmerzen sorgte.
Die Straßen waren belebt und die Menschen schauten schlecht gelaunt drein aufgrund der Hitze. Dennoch war Düsseldorf mir sympathisch. Natürlich empfand ich immer noch grenzenlose Trauer, aber irgendwas hatte diese Stadt an sich was mir Trost spendete. Genau wie Akutagawas Geschichten Kitamura Trost spendeten.

Nach Circa fünfzehn Minuten erreichte ich tatsächlich das Apartment. Es lag in einer Einkaufsstraße direkt an der Königsallee. Es war ein altes Gebäude das auf dem ersten Blick sehr luxuriös erschien. Was ich aber als luxuriös empfand, empfanden die Menschen hier vielleicht nur als gehobene Mittelklasse. Dennoch schindete es Eindruck. Und als Apartments konnte man diese Unterkunft bei so viel Prunk nun wirklich nicht bezeichnen. Ich musste erst durch eine Art Foyer, welches mit einer Bar und Lounge ausgestattet war gehen, bevor ich ins Treppenhaus kam. Bemerkte aber das es im Foyer auch einen Fahrstuhl gab und entschied mich dann doch diesen zu benutzen. Fünftes Stockwerk, Zimmer 27. R. Asahi. Das Zimmer lag am Ende eines langen Ganges. Das ganze Gebäude umgab eine Prestige welche in alten Film Noir Werken zu spüren ist. Ich klingelte und klopfte zuerst, um sicherzugehen das auch wirklich niemand da war. Nachdem keiner aufmachte, und auch keine Laute zu hören waren entschloss ich mich endlich dazu aufzuschließen. Es machte den Anschein das der Billiken Schlüsselanhänger mir dabei ins Gesicht grinste. Als ich die Schwelle zu R. Asahis Apartment betrat, erwischte mich erneut Klitschkos Faust. Dieses Mal prügelte sie mich aber anscheinend noch tiefer in meine Träume als ich es mir je hätte vorstellen können. Vor mir lag eine wahre Luxus Behausung. Ich schloss die Tür hinter mir und musterte jeden einzelnen Winkel. Selbst ohne Kitamuras Information das es sich um eine Freundin von ihm handle, hätte ich sofort herausgefunden das dies die Wohnung einer Frau war. Selbst am Duft vernahm ich es. Bereits Kitamuras kleines Apartment war liebevoll und ordentlich eingerichtet. Doch dies war kein Vergleich zu diesem Anblick. Überall an den Wänden hingen abstrakte, aber schöne Gemälde, der Fußboden war mit einem teuer wirkenden Teppich ausgestattet. Es gab fünf Zimmer. Für eine allein lebende Frau war dieses Apartment viel zu groß. Ich musste mich erst einmal setzen und zur Ruhe kommen. Ich befand mich in der Wohnung einer mir völlig Fremden Frau. Das Wohnzimmer würde mir hoffentlich den benötigten Komfort liefern.
Selbstverständlich war auch das Wohnzimmer luxuriös eingerichtet. Es gab ein riesiges, bequemes Sofa, einen HD-TV Fernseher und sogar eine kleine Bar. Natürlich war sie gut bestückt mit den verschiedensten Alkoholsorten. Ich hatte eine ziemliche Lust mir einen Drink zu mixen. Doch ich wollte einfach nur sitzen. Ich legte meine Mitbringsel an die Seite und lies mich ins Sofa sinken. Es war ein angenehmes Gefühl. Durch eine Klimaanlage wurde mir kühle Luft entgegen geweht. Bei so viel Komfort bemerkte ich das sich mein Körper revanchierte und mir allmählich die Augen zufielen. Ich weiß nicht mehr genau wie lange ich eingenickt war, aber ich kann mich noch genau erinnern das mich das Klingeln eines Telefons wieder weckte. Ich zuckte einmal am kompletten Körper zusammen. Ich nahm nicht ab. Schließlich war dies weder meine Wohnung, noch meine Angelegenheiten. Als keiner antwortete meldete sich die weibliche Stimme eines Anrufbeantworters:

Sie sind verbunden mit einem Anrufbeantworter. Bitte sprechen sie ihre Nachricht nach dem: PIEP

Das PIEP kam eindeutig von einer schrillen, quirligen Frauenstimme. Vermutlich Frau Asahi. Eine Männerstimme ertönte anschließend die aufs Band sprach:

Verdammt Fucking gute Nachrichten, Rinko. Der Artikel wird gedruckt. Breyer ist mirnso tief in den Arsch gekrochen das es selbst mir unangenehm wurde. Und du kennst mich ja, mir ist eigentlich nie etwas unangenehm. Call mich wenn du wieder da bist. Schönes Wochenende, Klaas.

Dämliche Ausdrucksweise, Gebrauch von Anglizismen und dazu auch noch eine nervige Stimme. Nach seiner Nachricht war es mir nicht mehr möglich einzuschlafen. Sie hieß also Rinko. Bisher hatte ich noch kein Bild von ihr entdeckt, geschweige wusste ich ihr Alter oder ihren Beruf. Zumindest schien sie viel Geld damit zu machen sich mit Idioten wie dem Spinner am Telefon abzugeben. Ein genauerer Blick auf dem Schreibtisch machte mich Neugierig. Dort war lag ein Briefumschlag, gelehnt an eine Blumenvase. Ich begutachtete diesen Briefumschlag. Dort stand in Schönschrift mein Name drauf. Leon. In dem Briefumschlag befand sich eine Kondolenzkarte und ein handgeschriebener Brief. Ich begann zu lesen:

Hallo, Leon. Makoto-Kun bat mich dir ein Quartier fürs Wochenende zu organisieren. Er konnte nur noch nicht zustimmen ob du auch wirklich übers Wochenende hier in Düsseldorf bleiben willst. Ich habe mich daher entschieden dir mein Apartment so lange zu überlassen. Falls du also wirklich geblieben bist, und das hier liest, sei mein Gast. Bediene dich am Kühlschrank oder an der Bar. Bitte trink mir aber nicht den guten Hennesy und den zwanzig Jahre alten Glenfiddich leer.
Dazu möchte ich dir mein Mitgefühl zu deinem Verlust mitteilen. Ich kannte weder deine Verlobte, noch kenne ich dich, doch Makoto-Kun hält viel von dir und erzählte mir die ganze Geschichte. Machs dir gemütlich und hab ein ruhiges Wochenende. Übrigens, Makoto sagte mir das du den Laptop benutzen sollst der in meinem Arbeitszimmer steht. Er ist nicht Passwort geschützt, aber richte dir Bitte ein Gastkonto ein. Ich hoffe das wir uns einmal persönlich kennenlernen.
Gruß, Rinko.

Eine sehr gastfreundliche Person diese Rinko. Doch sie vertraute Kitamura. Seine Worte schienen anscheinend auch auf Rinko eine magische Wirkung auszuüben. Einem Fremden hätte sie nie so einfach Zugang zu ihren Heiligtümern gewährt. Egal was Kitamura sagte, sie wusste das sie sich absolut auf seine Worte verlassen konnte.
Ich setzte mich zurück aufs Sofa. Nun war der Moment gekommen an dem ich Alessia Dokumente lesen würde. Was würde sich wohl darin befinden?
Behutsam öffnete ich den Briefumschlag. Dort drin befanden sich lediglich zwei DIN-A4 Blätter und ein Foto. Zuerst nahm ich mir die zwei Blätter vor. Beide waren am Computer verfasst worden. Typisch für Alessia, mit ihrer eigenen Handschrift war sie nie wirklich zufrieden. Dies machten Briefe von ihr natürlich unpersönlicher weil sie lediglich an einem Computer entstanden sind. Auf einem Blatt war viel Text zu sehen. Auf dem anderen Blatt war lediglich eine Internetadresse abgedruckt. Beide Dokumente waren mit Zahlen gekennzeichnet, was also bedeutete das ich chronologisch vorgehen musste. Bei gerade mal zwei Zetteln natürlich kein Problem. Doch fragte ich mich was Kitamura schon vor solch ein Rätsel gestellt haben könnte das er damit nicht fertig wurde. Bevor ich zu lesen begann zog ich das Foto aus dem Umschlag. Es war ein Selbstportrait von Alessia. An ihrer Frisur erkannte ich das es älter gewesen sein musste. Doch wer bediente die Kamera? Und wo befand sie sich eigentlich? Sie saß auf großen Steinen. Hinter ihr was das Meer zu erkennen. Es war ein schönes Foto welchem man eine gewisse Melancholie nicht absprechen konnte. Dazu löste es in mir Fernweh aus.
Während ich das Foto betrachtete fingen meine Hände zu zittern an. Alessia sah mir direkt in die Augen.


Wird fortgesetzt.

Mittwoch, 3. August 2011

Fishbowl Wonderland: Kapitel 2.1



Kapitel 2
Fishbowl Wonderland


Wann genau bemerkt ein Mensch eigentlich das er in eine unangenehme Geschichte geraten ist? Natürlich, meistens immer dann wenn er schon so tief drin verwickelt ist das es keinen Ausweg mehr gibt.
Damals, mit dreiundzwanzig wusste ich sofort welche Frau ich einmal heiraten will. Vermutlich hätte die ältere Generation Alessia und mich als frühreif bezeichnen können. Alle Erwartungen die ich bis dahin an mein Leben hegte lösten sich ganz langsam wie ein wunderschöner Traum in Luft auf. Gerne hätte ich Film oder Literatur studiert. Ein unbesorgtes Leben ohne Geldprobleme führen und durch meinen eigenen Erfolg reich werden. Naive Träume eines Teenagers. Nach meiner mittleren Reife entschied ich mich dazu Versicherungskaufmann zu werden. Der Sklave einer Dortmunder Versicherung zu sein barg tatsächlich keinerlei Vorteile. Auch nicht wenn man ausgelert hat. Alessia war sozusagen die letzte Erwartung an mein Leben die sich bis dahin noch nicht in Luft aufgelöst hatte. Durch ihren sinnlosen Tod rieten mir meine Eltern vielleicht mein Abitur nachzuholen und zu studieren. Am besten Dortmund zu verlassen. Kühle Worte von den eigenen Eltern. So waren sie immer. Doch was gab es in Dortmund für mich noch zu verlieren?
Meine Eltern hatten vollkommen recht. Die Frage war nur, ob ich einen Neuanfang wagen würde. Heute würde ich Jederzeit irgendwo anders ganz von neuem beginnen. Doch zur damaligen Zeit fehlte mir die Motivation so etwas zu tun. Verständlich.

Doch schließlich kommt immer alles anders. Als ich damals gemeinsam mit Kitamura und den Kommilitonen mitgegangen war um an einer ganz persönlichen Trauerfeier teilzunehmen, war mir noch nicht klar was als nächstes passieren würde. Ich war nicht das erste Mal in Kitamuras Wohnung. Und ich wusste das ungefähr zwanzig Leute sein eher kleines Apartment sprengen würden. Trotzdem kamen wir alle irgendwie und irgendwo unter. Einer der Studenten saß sogar auf einer leeren Bierkiste. Das Apartment war zwar klein, aber es reichte für Kitamura vollkommen aus. Es war sauber und alles war ordentlich eingerichtet. Die eingerichteten Zimmer standen im ständigen Kontrast zwischen westlicher und fernöstlicher Kultur. Seine Liebe zu Europa erkannte man an jedem Winkel. Das Apartment befand sich im zehnten Stock eines Hochhauses. Dementsprechend stickig war die Luft natürlich. Dennoch war die Luft längst nicht so erdrückend und schwer wie auf dem Begräbnis. Die Stimmung wurde lockerer und ich musste nicht Alessias arroganten Vater erdulden.

Wir machten es uns in Kitamuras Wohnzimmer gemütlich. Ich entledigte mich meinem Jackett und konnte mich nun, trotz der vielen Gespräche die mich umgaben, entspannen. Kurze Zeit später betrat auch Kitamura das Wohnzimmer, in seinen Händen eine ziemlich große Flasche Champagner Auf dem Etikett stand Louis Roederer. Mit Champagner kannte ich mich nicht aus, aber ein Freund erklärte mir ein anderes mal das diese Marke zur gehobenen Klasse der Schaumweine gehöre. Woher er diese Flasche hatte, oder in welcher Preisklasse sich der Inhalt befand war mir unbekannt. Meine erste Beerdigung, mein erster Champagner.

Kitamura ergriff das Wort und bat um einen Moment der Ruhe.
>>Diese Flasche habe ich mir eigentlich für den Moment meiner Abreise aus Deutschland aufgehoben. Natürlich wollte ich sie mir so oder so mit einigen von euch teilen. Nun muss ich die Flasche aber leider schon vorher öffnen. Es umgibt mich eine tiefe Trauer das es auch noch zu solch einem Anlass geschieht. Trotzdem möchte ich, dass wir auf die Seele unserer scharfsinnigen Alessia anstoßen. Möge ihr Geist uns auch weiterhin erleuchten. Kanpai!<<

Namu Amida Butsu

Der Champagner leerte sich schnell. Einige Studenten sorgten noch für neues Bier. Ich unterhielt mich mit niemandem. Dies verhalf mir unter anderem etwas meine Gedanken zu sammeln. Als ich gerade einen Dose Bier öffnete setzte sich Kitamura zu mir.
>>Es fällt mir schwer dich zu bitten, aber könnten wir gleich eine Weile unter vier Augen reden? In meinem Arbeitszimmer<<, sagte Kitamura und ich vernahm dabei deutlicher als zuvor seinen charmanten, japanischen Akzent.
>>Natürlich<<, antwortete ich nüchtern.
>>Komm in fünfzehn Minuten in mein Arbeitszimmer. Ich muss noch etwas vorbereiten.>>

Etwas vorbereiten meinte Kitamura. Was er damit wohl meinte?
Ich machte mir nicht weiter Gedanken darüber.
Eine Studentin legte eine CD in die Dolby Anlage und regelte die Lautstärke auf einen leisen Pegel. Es lief Growing Old is geetting Old von den Silversun Pickups. So nahmen also Studenten Abschied von einer Kommilitonin. Es war eine ausgelassene, kleine Feier. Ich musste mehrmals darüber nachdenken wie heuchlerisch und düster es auf der offiziellen Trauerfeier zuging die von Alessias Familie organisiert wurde.
Die meisten von ihren Uni Freunden kannten mich nicht. Für die war ich wohl ein völlig Fremder in diesem Raum. Nicht im Traum hätten sie daran gedacht das ich Alessias Verlobter war. Die Personen, denen sie mich damals vorstellte, teilten mir ihre ihre tiefste Anteilnahme mit. Einige male streiften meine Blicke ein paar Studentinnen. Ein paar von ihnen konnte man als echten Blickfang bezeichnen. Doch zugleich ermahnte ich mich selbst für solche Gedanken. Ich entschloss mich dazu Kitamuras Arbeitszimmer einen Besuch abzustatten. Was auch immer er wollte, er möge sich beeilen. Ich sehnte mich nach ein bisschen Schlaf.

Auf den Weg ins Arbeitszimmer kam mir ein Student entgegen der gerade von der Toilette kam. Seine Erscheinung hätte man umgangssprachlich wohl als Nerd bezeichnen können. Zudem schien er angetrunken zu sein. Er trug eine große Brille und passend dazu genau so langweiliges, zerzaustes, ungepflegtes Haar. Sein Anzug machte einen solch trostlosen Eindruck das man hätte denken können er habe schon viele Beerdigungen hinter sich. Ohne das sich unsere Blicke trafen schwatzte er mir ein Gespräch auf.

>>Hör mal.....<<, sprach er im säuselndem Tonfall. Er hatte keine Ahnung wer ich war.
>>Was gibt’s?<<, fragte ich ungewöhnlich locker.
>>Es ist so.....<<, er musste wohl noch einmal überlegen was er überhaupt sagen wollte. >>Es ist so, alle Frauen sind vergeben.>>
>>Ist das so?<<, fragte ich unbeeindruckt.
>>Aber klar. Alle Frauen sind vergeben. Und die, die nicht vergeben sind behaupten sie seien es. Dies liegt aber nur daran, wenn man ein nichtssagendes Gesicht und einen eigenwilligen Charakter hat. Sieht man gut aus, hat einen tollen Körper und ist vom Charakter her ein totaler Stereotyp, sind selbst die vergebenen Frauen wieder Single.>>
>>Was unterstützt deine Theorie?<<, fragte ich mittlerweile interessierter.
>>Na Ich! Schau mich an. Keine Frau sehnt sich nach einem Typen wie mir. Würde ich ehrlich gesagt auch nicht, wäre ich eine Frau. Natürlich greifen sie auf einen Kerl zurück der gut aussieht und ein Auto fährt. Blechgeile Weiber. Und die Tussis aus unserem Kurs sind nicht anders.
Ich hätte gedacht, dass zumindest Studentinnen etwas heller sind. Ich bin zwanzig und immer noch Jungfrau.>>
Ich machte mir kurz Gedanken über die Worte des jungen Studenten. Er war zwar angetrunken, wusste aber ganz genau worüber er sprach. Und er wusste ebenfalls das er dies nur einem Fremden erzählen konnte. Aber er hatte recht. Die Liebeswelt ist auch Heute noch ein hart umkämpfter Markt. Aber folgende Devise gilt immer: Um einer hübschen Frau näher zu kommen muss man sich manchmal wie ein Arschloch benehmen.

>>Eine Trauerfeier ist eine verdammt schlechte Party um zu flirten, aber Heute ist Freitag und der Abend ist noch jung. Du scheinst gerade locker drauf zu sein, frag ein Mädchen ob sie Lust hat Heute Abend was zu unternehmen<<, riet ich dem Studenten.
>>Lass mal gut sein Kumpel>>, kicherte er, klopfte mir auf die Schulter und ging zurück ins Wohnzimmer zu den anderen.
Komischer Vogel. Möglich das er gar nicht wusste auf wessen Trauerfeier er sich überhaupt befand.

Doch was war eigentlich in mich gefahren? Ich gab Studenten auf der Trauerfeier meiner verstorbenen Verlobten Flirt-Tipps. Ich schien in der Tat noch sehr verträumt zu sein. Vielleicht war es aber auch die Müdigkeit die mir zu schaffen machte.
Aus Kitamuras Arbeitszimmer hörte ich wie Finger auf eine Tastatur hämmerten. Ich klopfte an und trat ein. Zum ersten Mal sah ich Kitamuras privatestes Gemach. Hier fühlte er sich wohl. Dies sah man dem gemütlich eingerichteten Arbeitszimmer sofort an als man es betrat. Hier hätte sich vermutlich jeder wohlgefühlt. Da Kitamura ein Literaturfanatiker war, befanden sich gleich drei volle Bücherregale in diesem Zimmer. Der Drehstuhl auf dem er saß war ein bequemer Chefsessel mit Lederbezug. Auf seinem Arbeitstisch lagen viele Dokumente ordentlich aufeinander gestapelt. In der Mitte dieses Tisches thronte sein Notebook. Das Zimmer war umhüllt mit einer angenehm kühlen Luft. Kitamura war wohl so vertieft in seiner Beschäftigung das ich mich räuspern musste damit er überhaupt bemerkte das ich bereits direkt vor ihm stand. Er bemerkte es anschließend und schenkte mir ein freundliches Lächeln. Auch Kitamura hatte sich seines Jacketts entledigt und saß nun mit aufgeknöpftem Hemd, die Ärmel hochgekrempelt, in seinem Chefsessel.

> >Was sich nun am besten als Sprungbrett eignet, ist eine Frau., schrieb Akutagawa einst in seiner Erzählung: Das Leben eines Narren. Jeder der sich mit seinem Leben befasst hat sollte wissen das er mit Sprungbrett den Freitod meinte.
Er war letztendlich eine einsame Person. Ich wüsste gerne wie ernst er es mit diesem Zitat meinte. Ich bin ein großer Bewunderer seiner Texte. Trotz der Gesellschaftskritik und Einsamkeit spenden seine kleinen Geschichten mir doch immer wieder Trost. Hast du dich jemals für das interessiert was Alessia gelesen hat? Hast du dich überhaupt für das interessiert, was sie interessierte? Bitte sei ehrlich wenn du mir diese Frage beantwortest.>>

Kitamura sprach in beinahe weisen Tönen zu mir. Nun kam er auch noch mit solchen Brechern auf mich zu. Dabei befanden sich doch gerade Logik und Verstand meiner Seele auf einer einsamen Insel. Sie waren damals in dieser Situation unerreichbar für mich. Trotzdem musste ich ihm irgendwie antworten.
>>Nein. Nicht wirklich. Ich konnte mich für ihre Faszination der japanischen Kultur gegenüber nie wirklich interessieren. Aber was spielt das denn jetzt noch für eine Rolle? Ich würde lügen wenn ich sage das sie sich für das interessierte was mir Spaß macht.<<
Er dachte kurz über die von mir ausgesprochenen Worte nach und schenkte mir anschließend einen Blick dem ich nicht ausweichen konnte. Danach fuhr er mit seiner Ansprache fort. Sollte dies etwa eine Belehrung werden? Würde mir nun ein Mann von gerade mal dreißig Jahren eine Predigt halten was ich in der Beziehung hätte besser machen können? Dabei war es doch er selbst, der ohne zu zögern seiner Familie den Rücken kehrte und den Job als Gastdozent hier in Deutschland annahm.

>>Genau da liegt das Problem>>, stimmte er an. >>Du hast an rein gar nichts Spaß, Leon. Wir kennen uns nun seit knapp zwei Jahren, und jeder Mensch der auch nur etwas mit seinem Verstand anzufangen weiß, bemerkt, was für ein unglaublich langweiliger Mensch du bist. Du bist Versicherungskaufmann geworden. Du hast mir nie etwas über deine Hobbys erzählt. Du lebst von den einen in den nächsten Tag hinein. Du hast dich praktisch bereits aufgegeben. Du hast dich an deine Verlobte geklammert. Sie war dein Leben. Und ich beneide dich um diese Einstellung einer Frau gegenüber. Ein aufrichtiger Kerl, ehrlich und treu. Doch was wusstest du eigentlich über Alessia? Kannst du dir vorstellen das sie bei mir im Kurs praktisch eine völlig andere Person war? In deiner Anwesenheit hielt sie sich so gut es ging zurück über ihre Interessen zu sprechen. Doch sobald mein Kurs begann ging sie in sich auf. Sie war ein tiefgründiger Mensch. Noch viel tiefgründiger als ich es wahrscheinlich je sein werde. Sie faszinierte mich noch viel mehr als..... Lassen wir das. Ich bin nicht hier um dir armen Kerl eine Predigt zu halten. Ich will nur das du dir im Klaren darüber bist, das du deine eigene Verlobte vielleicht gar nicht kanntest. Ich will nun, dass du das, was ich dir nun überreiche, ernst nimmst. Es ist ein Rätsel welches wahrscheinlich nur mit deiner Hilfe geknackt werden kann.<<

Aufrichtig hörte ich Kitamura zu. Seine Worte klangen in meinem leeren Kopf wie Tropfen die sich von der Decke einer Höhle lösten und zu Boden fielen. Jede Einzelne Silbe erreichte mich. Er besaß ein außerordentliches Talent zu reden. Wenn er gewollt hätte, hätte er eine Studentenbewegung gründen können die einzig und allein auf das hörte was er ihnen sagte. Sie wären ihm wahrscheinlich ohne auch nur eine Frage zu stellen überall hin gefolgt.
>>Versprochen<<, gab ich ein wenig verdutzt zurück. Anschließend setzte er wieder ein charmantes Lächeln auf. Seine rechte Hand suchte etwas in seiner Schreibtischschublade. Kurze Zeit später fischte er einen mittelgroßen Briefumschlag raus. Es sah aus als wurde er bereits einmal geöffnet.
Er überreichte ihn mir. Genau so wortlos wie Kitamura ihn mir überreichte, nahm ich ihn an. Er war adressiert an Makoto Kitamura, und unverkennbar gehörte diese Handschrift Alessia.
>>Was befindet sich da drin?<<, fragte ich ein wenig ängstlich.
>>Dies ist das Rätsel wovon ich sprach. Da Alessia ein Mensch der Perfektion war konnte sie es problemlos abschätzen wann ich mein Postfach besuchen würde. Ich fand den Umschlag zwei Tage nach ihrem Tod in meinem Postfach. Ich wusste erst nichts damit anzufangen. Die Handschrift war mir jedoch bekannt. Die Hiobsbotschaft einer Toten, dachte ich mir während ich die ganze Zeit mit mir haderte den an mir adressierten Briefumschlag zu öffnen. Glaub mir Leon, für einen gläubigen Menschen wie mich, der brav zweimal Täglich einige buddhistische Sutren aufsagt, ist dies nicht so leicht. Zumal mich Alessias Tod ziemlich mitgenommen hat. Ich entschied mich jedoch dazu den Briefumschlag zu öffnen. Doch die paar Dokumente, und die Bitte, diese an dich weiterzugeben, ergeben für mich keinen Sinn. Vielleicht wirst du es ja verstehen. Was sich da drin befindet könnte man also tatsächlich als ein Vermächtnis bezeichnen. Ich möchte, dass wir dieser Sache zusammen nachgehen.>>
>>Ich weiß gerade nichts damit anzufangen. Glaubst du mir, dass ich gerade denke das ich mehr träume, als überhaupt hier, in deinem Zimmer, in der Realität anwesend zu sein? Um was für Dokumente handelt es sich?<<, bat ich Kitamura um Erklärung.
>>Ich will es nicht unbedingt unnötig mystisch erscheinen lassen, aber Bitte öffne den Umschlag erst, wenn du deine Ruhe hast. Die wirst du brauchen.<<
>>Gut. Dann werde ich mich gleich auf den Heimweg machen und den nächsten Zug nach Dortmund nehmen.<<

>>Kommt nicht in Frage! Übers Wochenende wirst du hier in Düsseldorf bleiben. Du wirst nicht in eure gemeinsame Wohnung nach Dortmund zurückkehren. Du brauchst Ablenkung und Entspannung. Außerdem können wir uns hier in Düsseldorf öfter sehen.<<
>>Aber ein Hotelzimmer kann ich mir momentan unmöglich leisten<<, gab ich enttäuscht zurück.
>>Auch dafür habe ich gesorgt. Übers Wochenende kannst du bei einer guten Freundin von mir übernachten. Nimm die japanische Gastfreundschaft an. Alles in ihrem Apartment wird dir zur Verfügung stehen. Sie wird erst am Sonntag wiederkommen, ich habe bereits alles mit ihr besprochen. Das Apartment ist gerade mal ein paar Straßen von hier entfernt.<<


Wird fortgesetzt.

Soundtrack:
Silversun Pickups- Growing Old is getting Old


Montag, 25. Juli 2011

Der Anfang vom Anfang: Kapitel 1

 
 


ぼんやりとした不安
(Bon'yaritoshita fuan)

Kapitel 1: Der Anfang vom Anfang


Juli-August 2010

Das Begräbnis fand an einem quälend heißen Juli Freitag im Jahr 2010 statt. Bereits der Vormittag ließ mich unter meinem Jackett schwitzen.
Ihre letzte Ruhe fand sie auf einem katholischen Friedhof in Düsseldorf. Ich war damals dreiundzwanzig und war zuvor noch nie auf einer Beerdigung. Zugleich war es auch noch meine Verlobte, die ich zu Grabe tragen musste.

Alessia war zwanzig Jahre alt als sie ihr Leben selbst beendete. Die Gründe dafür waren mir zu dem Zeitpunkt ihres Begräbnis noch gar nicht klar. Sie beging Selbstmord und konnte mir gewiss keine Antwort mehr darauf geben, welche Beweggründe sie dazu führten. Erst wesentlich später wurde mir bewusst, dass ihr Leben ein riesiges Puzzle war. Obwohl wir uns seit der Grundschule kannten, eine Sandkastenliebe führten, war mir diese Frau eigentlich völlig fremd. Das Vermächtnis das sie hinterließ war abstrakt und beinahe unwirklich.

Circa 60 Leute erschienen auf Alessias Begräbnis. Darunter ihre Familie, Freunde, Kommilitonen aus ihrer Uni, ihr Dozent und ein völlig verwirrter (Ex)Verlobter. Ich trug ein schwarzes Jackett und darunter ein kurzärmliges, ebenfalls schwarzes Hemd. Eine schlichte Jeans und weiße Sneaker rundeten mein Outfit ab. Das Wetter brachte mich dazu zwei Knöpfe meines Hemdes zu lösen.
Der Priester begann pünktlich seine Predigt und rasselte die übliche Leier runter. Ich hörte nicht hin. Ich konzentrierte mich viel mehr auf die Umgebung. Ich lauschte dem kaum vorhandenen Wind der sanft durch die Bäume wehte. Es war ein warmer Wind. Ich fühlte mich seltsamerweise geborgen und musste selbstverständlich dabei zwanghaft an Alessia denken. Meine Blicke trafen die saftigen Wiesen und die vielen verschiedenen Gräber. Ich war umgeben von hunderten, unerzählten Geschichten und Schicksalen die sich tief unter der Erde befanden. Dabei war ich mir ganz sicher, dass jeder verstorbene auf diesem Friedhof, seine ganz persönliche Geschichte zu erzählen hatte. Nun würde auch Alessia zu den vielen Seelen gehören, die noch eine unvollendete Geschichte zu erzählen hat, sprach die Stimme meines Unterbewusstseins zu mir.

In meiner Träumerei vertieft, bemerkte ich nicht wie der Priester seine Predigt bereits beendet hatte. Eine kräftige Hand drückte meine Schulter. Ich zuckte kurz zusammen um anschließend auf diese Geste zu reagieren. Es war Kitamura, Gastdozent an der Universität an der Alessia studierte. Alessia studierte zusammen mit ihrer Besten Freundin Japanologie. Japan..... ihre große Leidenschaft. Sie war nahezu besessen von diesem Land und dessen Kultur. Kitamura hingegen studierte Germanistik und kam direkt von einer Tokioter Universität nach Deutschland. Sein damaliger Professor schrieb eine Empfehlung an einen Kollegen aus Deutschland. Diese Gelegenheit konnte er sich selbstverständlich nicht entgehen lassen. Kitamura war Mitte dreißig und lies seine Familie in Tokio zurück. Besser gesagt, sie wollten nicht mit. Sein Vertrag war vorerst befristet bis 2011. Er war für einen Japaner recht groß, um die 1,80 Meter. Er war braungebrannt und trug zu seinem gepflegten, mittellangen Haar immer diesen Dreitagebart. Er war stets gut gekleidet und ähnelte ein wenig dem japanischen Schauspieler Masaya Kato. Kitamura war natürlich der Blickfang bei den Mädchen in den Hörsälen. Alessia nahm mich mal zu einigen Vorlesungen mit. Er unterrichtete japanische Geschichte und Literatur. Er sprach beinahe akzentfrei deutsch und machte die Vorlesungen durch seine sympathische Art zu einem Erlebnis. Alessia verstand sich gut mit ihm und stellte mich ihm vor. Wir kamen ins Gespräch, und fortan sah ich Kitamura wohl mit den gleichen Augen, mit denen ihn auch die Mädchen in den Hörsälen sahen (nur das ich natürlich nicht in ihn verliebt war).

>>Wusstest du das Akutagawa einer ihren ganz großen literarischen Vorbilder war?<<, fragte mich Kitamura, der nun neben mir stand.
>>Nein. Ehrlich gesagt, ich kenne diesen Akutagawa gar nicht. Wieso sprichst das das nun hier an, Makoto?<<

Wir beide hielten unsere Blicke weiter auf die Geschehnisse vor uns gerichtet, und warteten ab was wohl als nächstes passieren würde, nachdem der Priester seine Predigt beendet hatte. Kitamura jedoch setzte unser Gespräch fort.

>>Ryunosuke Akutagawa gehörte zu den einflussreichsten und modernsten japanischen Schriftstellern zum Anfang des 20. Jahrhunderts. Er war ein Genie. Ein Dichter und Essayist. Doch die Gesellschaft, so hieß es, trieb ihn in den Wahnsinn. Akutagawa verfiel fürchterlichen Halluzinationen. Er nahm sich im Alter von fünfunddreißig Jahren das Leben. Das war 1927. Die Gesellschaft hat sich nicht geändert, auch nicht dreiundachtzig Jahre später. Ganz im Gegenteil.<<
>>Darauf willst du also hinaus<<, sprach ich emotionslos und schaute Kitamura dabei ins Gesicht.
>>Du kanntest ihre Faszination zur gesamten japanischen Kultur. Sie verehrte Akutagawas Werke. Ich will damit nicht sagen das sie sich hineinsteigerte. Aber ich hätte etwas bemerken müssen. Doch das wollte ich dir eigentlich nicht mitteilen. Ich möchte das du mich nach der Trauerfeier begleitest und kurz zu mir in meine Wohnung kommst. Ich werde deine Zeit nicht länger in Anspruch nehmen als nötig. Du machst nun einiges durch. Aber du bist erst am Anfang. Ich werde dir etwas zeigen was dir weitere Prüfungen aufbürdet. Ich wünschte ich könnte dich davor bewahren. Aber es kommen Ereignisse ins Rollen, weißt du, da gerate ich selbst an die Grenzen meines Verstandes.<<

Kitamura meinte es ernst. Er gehörte dem Buddhismus an und lebte streng nach dessen Regeln. Sein Mitgefühl mir gegenüber war absolut ehrlich und aufrichtig.

>>Einverstanden. Nach der Trauerfeier begleite ich dich. Diese Gesellschaft hier ertrage ich sowieso nicht.<<

Anschließend verfolgten wir weiter, die Blicke nach Vorne gerichtet, was nun passieren würde. Bis auf Alessias Freunde aus ihrem Studium, ging mir ihre komplette Familie, um es passend auszudrücken, am Arsch vorbei. Ihre Eltern waren arrogante Ex-Yuppies die wahrscheinlich noch weniger als ich selbst von ihrer eigenen Tochter wussten. Ihre Mutter brach ständig zusammen und klammerte sich an ihren Mann. Er selbst hingegen war der gleiche Eisblock wie immer. Von allen Seiten war ein Schluchzen oder Seufzen zu hören. Alessias beste Freundin Irène ist zwei Tage zuvor zusammengebrochen und lag noch zur Beobachtung im Krankenhaus. Obwohl sie sich weigerte, hielten es die Ärzte und ihre Familie für geeigneter wenn sie nicht zum Begräbnis erscheinen würde. Die beiden waren immerhin unzertrennliche Freunde seit der Realschule.

Was meine Person jedoch anging, könnte man sagen, dass ich nahezu teilnahmslos dastand. Als ob ich das Begräbnis einer flüchtigen Bekannten besuchen würde. Ich empfand weder Emotionen noch Trauer. Für mich würde sich nach diesem Begräbnis nichts ändern. Ich würde in unsere Wohnung zurückkehren, wo Alessia auf mich im Bett wartete. Die Nacht verbrachte sie wieder mit Romanen japanischer Autoren und schlief bis in den Nachmittag hinein. Ich würde sie in die Arme nehmen und küssen. Gemeinsam verharren wir in dieser Position eine Weile. Danach würde sie mich mit ihrer sanften Stimmen fragen, ob das Begräbnis sehr traurig war. Ich hingegen würde antworten, dass ich recht teilnahmslos dastand weil mir der persönliche Bezug zu dieser Person fehlte. Alessia würde sich an mich schmiegen und wieder einschlafen.

Eine lange Zeit, während ich auf den Sarg blickte, fragte ich mich wer da eigentlich drin liegen würde. Nur in ganz seltenen Augenblicken wurde mir bewusst, dass sich in diesem Sarg aus Eichenholz, meine ehemalige Verlobte befand. In diesen Momenten wurde mir klar das Daheim niemand auch mich wartete. Alessia war also gar nicht weit von mir entfernt.

Doch eine gewisse Situation rüttelte mich wach. Es war die Situation als ein elektronischer Mechanismus Alessias Sarg ganz langsam in die Erde fuhr. Dabei wurde ein Song gespielt den sie liebte. Sie sagte mir immer, sobald sie dieses Lied höre, würde sie an mich denken. Vielleicht war es nicht von Bedeutung für mich, aber ich fragte sie nie wieso das eigentlich so war, dass sie dabei andauernd an mich denken musste. Dieses Stück heißt Skies Of Love und war Teil des Soundtracks einer bekannten Animationsserie die Ende der achtziger bis Mitte der neunziger im japanischen Fernsehen gezeigt wurde. Es war eine Weltraumoper mit dem Titel Legend Of The Galactic Heroes. Ich konnte mich nie für sie begeistern.
Als die Melodie ertönte fühlte ich mich als hätte die Faust eines Klitschkos meinen Verstand erwischt. Sie prügelte mich förmlich durch alle Winkel meiner Traumwelt und beförderte mich in die traurige wie hoffnungslose Realität zurück. Die Personen die während der Melodie nicht in Tränen ausbrachen, richteten ihre Blicke auf mich. Ich stand völlig verdutzt da. Ich realisierte mit einem Mal das ich Alessia nie wiedersehen würde. In diesem Moment dachte ich an Leland Palmer aus der Serie Twin Peaks. In der gleichen Situation sprang er auf den Sarg seiner Tochter Laura, um zu verhindern, dass dieser den Boden der tiefen Grube erreichte. Er versuchte es mit aller Macht, bis das Gewicht den Mechanismus durcheinander brachte und außer Kontrolle geriet. Es war ein bizarrer Anblick für alle Anwesenden. Natürlich war der Gedanke an Twin Peaks völlig fehl am Platz. Doch diese Szene brannte sich förmlich in meinen von Klitschkos Faust geprügelten Verstand ein. Selbstverständlich behielt ich die Fassung. Und selbst wenn ich wie Leland Palmer ausgeflippt wäre, Kitamura hätte es irgendwie geschafft mich davon abzuhalten wie ein Irrer auf den Sarg zu springen. Stattdessen spielte sich alles weiter in meiner Phantasie ab. Doch ich war so klar wie in keinem anderen Moment an diesem Vormittag. Ich sog völlig konzentriert den Text des Songs in mich ein:

I look above the stars
are bright
Yet I'm blinded by you‘re light
Heaven seems so far away
Come back to me someday
The sky seems so blue
They lead me to you

Nie zuvor nahm ich den Text des Liedes so wahr wie an diesem Tag. Ich musste schwer schlucken und mit den Tränen kämpfen. Ich konnten ihnen jedoch nicht einfach freien lauf lassen. So ironisch es auch klingt, dies war der falsche Ort dafür. Es war ihr Wille (so stand es in ihrem Abschiedsbrief) das dieses Lied gespielt wird. Gerne hätte ich einen anderen Titel gewählt.
Der Sarg war fast komplett eingefahren. Der Klang dieses Songs erweckte den Anschein das wir vor versammelter Gemeinschaft der Nationalhymne lauschten und unserem Land seinen Tribut zollten. Alessias Mutter brach nun endgültig zusammen und kniete nun auf dem Boden. Ihr arroganter Mann war so mit sich selbst beschäftigt das er den Zustand seiner Frau überhaupt nicht wahrnahm. Erst ein mir unbekannter junger Mann verhalf ihr hoch damit sie wieder aufrichtig stehen konnte. Es war dieser junge Mann der sie auch weiterhin stützte, und nicht ihr Ehemann.
Alles kam mir vor wie ein völlig irrealer Traum. Plastisch und unwirklich. Schwarz gekleidete Menschen wohin ich sah. Fremde Personen die ich nie zuvor gesehen hatte. Lediglich Kitamura war mein Anker. An ihn konnte ich mich klammern.

So plötzlich es begann, endete das Begräbnis. Kitamura, die Kommilitonen und Ich verzichteten auf die Trauerfeier und entschieden uns dazu persönlich in seiner Wohnung ein paar Gläser auf Alessia zu heben. Der Gesellschaft auf dem Begräbnis würdigte ich keinerlei weitere Blicke. Ich wollte diesen Ort einfach ohne weitere Zwischenfälle verlassen. Bereits in den kommenden Stunden würde mir Kitamura etwas überreichen das mein Leben komplett verändern würde. Ereignisse würden entfacht und eine Geschichte ins rollen gebracht werden, die für mich noch Heute, zwölf Jahre später, absolut unbegreiflich ist. Es war eine Zeit die mir genau so traumhaft und unwirklich erschien wie das Begräbnis. Doch bleibt mir Heute keine andere Wahl diese Zeit als die Realität anzuerkennen.

Ende Kapitel 1


Soundtrack:
Skies of Love (L.o.T.G.H. Soundtrack)


Freitag, 22. Juli 2011

Was ist das hier eigentlich?


Gegen Ende 2010 habe ich eine Geschichte begonnen die lediglich fünf Seiten umfassen sollte. Eine klassische Kurzgeschichte. Ich schrieb um überschüssige Zeit zu vertreiben. Doch irgendwie wurde es immer mehr. Es kamen immer wieder neue Ideen und Charaktere dazu. Ich schrieb also weiter. Bis mir irgendwann die Zeit dazu fehlte.

Vor zwei Tagen jedoch musste ich wieder an Kannibalismus unter Fischen denken. Ich sehe nur selten Potential in Geschichten die ich selbst schreibe. Doch ich bin nun so weit gekommen so das es mich umso mehr anspornt diese Geschichte nun öffentlich zu machen. Und was eignet sich als Plattform besser für eine Veröffentlichung als ein Blog? Immerhin ist auch ein Blog das Schlüsselelement in dieser Geschichte.

Meine Geschichte mag vielleicht etwas befremdlich wirken. Vielleicht sogar ein bisschen sehr düster. Aber das soll sie gar nicht sein. Im Gegenteil. Es ist eigentlich eine Geschichte voller Hoffnung.
Inspiriert zu all dem hat mich eigentlich japanische Kultur/Literatur (wie man sicherlich unschwer erkennen wird wenn man die Geschichte liest). Es gibt einen Ich-Erzähler, lauter schräge und seltsame Charaktere, und ein rätselhafte Handlung. Charakterentwicklung wird vermutlich auch vernachlässigt werden (verzeiht ;D). Ehrlich gesagt weiß ich noch gar nicht wie die Geschichte sich entwickeln wird. Geschweige wie sie enden wird. Ich muss mich wohl selbst überraschen lassen.

Nun denn. Kannibalismus unter Fischen verkörpert all das was mir so durch den Kopf geht. Alles was mich je inspiriert hat: Filme, Literatur, Musik, wird in diese Geschichte mit einfließen. Und da mir besonders die Musik wichtig ist, wird jeder erwähnte Song in der Geschichte auch einen Platz unter den jeweiligen Kapiteln finden.

Lasst euch treiben vom Ozean. Ich freue mich über jeden Leser. Auch wenn ich natürlich die Befürchtung habe das dieser Blog so einsam sein wird wie Leon, der Hauptcharakter dieser Geschichte.

Ansonsten wünsche ich euch viel Spaß. Ich will jede Woche 1 bis 2 Kapitel veröffentlichen. Im Laufe des Tages wird Kapitel 1 veröffentlicht werden.

Kritik, Fragen und Anregungen sind gerne erwünscht.


Als Einstimmung noch einen letzten, fröhlichen Song: